Helge Stein – Hoch­durch­satz­forschung

23.12.2020

Hochdurchsatz-Materialforschung: Das große Ziel von TT-Prof. Dr. Stein ist eine vollautomatisierte Herstellung von Batteriematerialien durch Roboter, die Tag und Nacht damit beschäftigt sind,  die Materialien zu charakterisieren und mithilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz zu optimieren.

[gekürzte Fassung des Podcasts]

Wir beschäftigen uns heute mit Robotik, mit Künstlicher Intelligenz und mit Hochdurchsatzforschung. Dazu haben wir einen besonderen Gast eingeladen, den HIU-Forscher TT.-Prof. Dr. Helge Stein. Er ist Professor für Angewandte Elektrochemie am KIT. Herzlich Willkommen, Herr Stein.
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Moin Moin.

Sie versuchen hier in Ulm über innovative Wege Batteriematerialien zu erforschen und diese zu optimieren. Sie bauen hier an der Universität Ulm eine vollautomatisierte Robotik-Strecke auf. Irgendwann sollen hier Roboter über Künstliche Intelligenz diese Batteriematerialien selbstständig ausfindig machen und diese dann optimieren. Richtig?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Genau. Wir forschen innerhalb der Schnittmenge aus Automatisierung, Elektrochemie und Künstliche Intelligenz für die Materialforschung. Daraus ergibt sich diese sog. „Hochdurchsatz-Materialforschung“. Wir wollen versuchen, automatisiert Batterien und Batteriematerialien herzustellen, diese zu charakterisieren und dann mithilfe von Algorithmen und Computern beschleunigt einen Erkenntnisgewinn zu generieren.

Das Problem ist, dass es immens viele (denkbare) Materialkombinationen für Batterien gibt. Wir gehen von knapp 42 Milliarden Möglichkeiten aus, wie ein Forscher einen Elektrolyten oder andere Batteriematerialien herstellen kann. Und wir setzen uns mit dieser komplexen Kombinatorik auseinander. Dabei helfen uns Methoden aus der Künstlichen Intelligenz, die möglichen attraktiven Batteriematerialien beschleunigt zu erforschen.

Herr Stein, in einem Erklärvideo über Batterieforschung und Künstliche Intelligenz malen Sie das Bild von Sterneköchen, die – ähnlich wie Sie – ebenfalls versuchen, das optimale „Rezept“ zu entwickeln. Auch Sie versuchen, über verschiedene Verfahren und Batteriezutaten zu einem Performance-Optimum zu gelangen, bei dem die Batteriematerialien am besten funktionieren.
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: So ist es. Auf die Mischung aus allem, Elektroden und Elektrolyt, kommt es an. Wenn ich im Sommer eine leckere Tomatensoße machen möchte, nehme ich ein paar feste Tomaten, ein paar passierte Tomaten, Salz, ein bisschen Glutamat und so weiter. Dann stellt sich die Frage, was die optimale Kombination der Zutaten ist? Wenn ich zu viel Salz hineingebe, schmeckt es nicht mehr.

Bei jedem Rezept steht anfangs das Experimentieren. In der Regel machen wir es in der Batterieforschung auch so: Wir versuchen uns erst einmal an zufälligen Rezepten, um erst einmal eine Idee zu bekommen, wie der „Datenraum“ aussieht, in dem ich mich bewege. Dann kann man meistens schon eine Art Trend identifizieren. Die ersten Experimente haben beispielsweise zur Folge, dass die Batterie etwas länger oder etwas kürzer funktioniert, weil die Batteriezutaten sich direkt auf Eigenschaften und die Perfomance der Zelle auswirken.

In Anbetracht der schwindelerregend hohen Zahl von Verfahren, Prozesse und Materialkombinationen kommt ein*e Batterieforscher*in schnell auf zehntausende verschiedene Experimente, die er in seinem Forscherleben realisieren könnte. Aber da kommen Sie ins Spiel…?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Wir reden meistens von „automatisiertem Hochdurchsatz“ als Experimentierverfahren. Die Kernidee beruht auf der Beschleunigung der Batterieforschung. Ein Beispiel dazu: Nehmen wir an, ein*e normale*r Batterieforscher*in benötigt für ein Experiment im Labor einen Arbeitstag. Wenn sie/er 1.000 verschiedene Experimente durchführen wollte, benötigt sie/er also 1.000 Arbeitstage. Das sind etwas mehr als 4 oder 5 Jahre.

Wir möchten diese Experimente beschleunigen. Wir entwickeln dazu Maschinen und Roboter, die die Arbeitsschritte der Forscher*innen weitestgehend automatisieren. Gleichzeitig arbeiten unsere ersten vier Maschinen parallel. Das heißt, wir können nicht nur viermal so schnell arbeiten, sondern zusätzlich auch noch 24 Stunden, 7 Tage die Woche durcharbeiten.

Teile dieser Robotik-Anlagen stehen und arbeiten ja bereits. Können diese Maschinen tatsächlich alles das, was ein Batterieforscher hier im Labor auch kann?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Nein, natürlich nicht. Wir führen hier sogenannte Halbzell-Experimente durch. Normalerweise baut man in der Batterieforschung eine ganze Batterie mit Anode, Kathode und Elektrolyt zusammen. Wir schauen uns immer nur eine halbe Batterie an, entweder die Anode oder die Kathode.

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Wie sieht denn jetzt die Arbeitsteilung zwischen Ihnen und den Robotern aus? Was macht jetzt der Roboter genau?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Das Traurige ist immer, dass die Roboter tatsächlich das Langweiligste an der ganzen Geschichte sind. Am Roboter ist eine Art Messkopf, der hin und her fährt. Und diesen Messkopf fahren wir an eine Position, die Messfläche, wo er misst. Die Proben sind auf einem Tisch, einem sog. Kreuztisch, installiert. Der Roboter ist kein spektakulärer großer Riesenroboter, wie man ihn aus großen Industrieanlagen kennt. Er hat eher Unterarmgröße.

Der Roboter könnte zum Beispiel zu einem einzelnen Buchstaben auf einem Blatt Papier fahren und diesen ablesen. Und wenn er damit fertig ist, fährt er einfach zum nächsten Buchstaben. Die Roboter sind sozusagen das Vehikel, was uns das Leben ein bisschen einfacher macht.

Wie schnell geht so eine Messung mit dem Roboter?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Es kommt immer darauf an, um was für eine Art Messung es sich handelt. Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Experimenten: Das sequentielle Experimentieren, bei dem ich ein Experiment nach dem anderen durchführe. Und es gibt das parallele Experimentieren, bei dem ich alle Experimente parallel durchführen kann.

In der Regel versuchen wir die sequentiellen Experimente eher kurz zu halten. Das parallele Experimentieren bietet sich für Langzeit-Experimente an. Die können durchaus eine Woche bis einen Monat benötigen. Experimente, bei denen man eine Batterie „kaputtzyklieren“ will, benötigen durchaus einen oder zwei Monate. Diese Experimente macht man dann eher parallel, indem man viele Kanäle nutzt – 128 oder 64 Kanäle in unserem Fall.

Kann man sich das wie ein Fließband vorstellen, durch die die Proben durchlaufen und dann von Robotern analysiert werden?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: In erster Näherung kann man sich das schon so vorstellen wie ein eine Art Fließband. Wir haben größere Roboter bei uns im Labor stehen, die diese Proben greifen könnten, um sie dann zur nächsten Messstation zu fahren. In der Regel sprechen wir eher davon, dass wir die verschiedenen Schritte miteinander integrieren möchten.

Das wirklich Komplizierte ist aber nicht der Transport, sondern die Messpunkte zu eichen. Wir wollen mit dem Messkopf des Roboters immer den gleichen Punkt zu treffen. Das ist tatsächlich der Schritt, mit dem die meisten Forscher*innen am Rechner die meiste Zeit verbringen. Es kostet mich vielleicht zwei Minuten, die Probe von A nach B zu tragen. Es kostet mich allerdings Tage bis Wochen, um die Messdaten aus zwei unterschiedlichen Instrumenten miteinander zusammenzuführen.

Sie haben einmal von einer „Landkarte der Batteriematerialien“ gesprochen. Dabei erkundet ein*e Batteriewissenschaftler*in eine Art „Terrain“: Gute Materialeigenschaften stellen dabei Höhen, Gipfel oder Berge dar. Dort sind die Materialkombinationen gut. Bei den Tälern bieten sich die Materialien her nicht an. Sie wollen dieses Terrain nun umfangreich kartographieren. Geben Sie dem Roboter dabei vor, welches Kartenstück er kartographieren soll oder werden Sie die ganze Karte nacheinander abarbeiten?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Man kann sich die Ergebnisse unserer Forschung vorstellen wie ein Gebirge. Gehen wir beispielsweise mal davon aus, dass das Matterhorn hervorragendes Batteriematerial symbolisiert. Wir haben Methoden, um uns in dieser chemischen Landkarte, die wir kartographieren möchten, zu orientieren. Als Bergsteiger möchte ich auf den Gipfel – aber unsere Maschinen können uns sogar noch schneller zu diesen besseren Materialgipfeln bringen.

Dazu fragen wir einfach unseren Algorithmus: „Sag uns doch mal die Höhe für eine gewisse Region in der Nähe von Ulm. Wie hoch sind wir da?“ Und dann sagt uns der Algorithmus: „Wahrscheinlich irgendwas zwischen 500 und 900 Meter, mit einer gewissen Unsicherheit.“ Dann schlussfolgern wir, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass dort ein zweites Matterhorn steht.

Ohne Karte ist der Bergsteiger mehr oder weniger blind. Er müsste das Terrain stichprobenhalber selbst erkunden. Sie können mit dieser Robotik sozusagen ein klareres Bild dieser Karte zeichnen und lokale Höhen definieren. Jetzt geht es dabei bestimmt nicht nur um drei Achsen, sondern wahrscheinlich um multiple Dimensionen?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Genau. Das ist sozusagen wie ein Bergsteiger, der irgendwie in siebter oder achter Dimension umherwandert.

Wir steigen mit unserer Forschung quasi in einen Helikopter und fliegen über die Berge. Wir sehen nicht alles, was der Bergsteiger sieht. Aber wir gelangen schneller zu einem besseren Überblick über attraktive Batteriematerialien, die bei näherem Hinsehen durchaus eine Chance auf zukünftige Materialentwicklungen haben.

Sie haben das Thema Künstliche Intelligenz angesprochen. Was ist denn eigentlich Künstliche Intelligenz? Was ist Maschinelles Lernen? Ist das wirklich eine künstliche Intelligenz, mit der Sie da arbeiten?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Begriffe wie „Künstliche Intelligenz“, „Deep Learning“ werden immer sehr schwammig definiert. Ich versuche mich meist an der Übersetzung „kunstfertige Datenverarbeitung“ zu orientieren. Dieses Prinzip entspricht dem Diktum, wie es in der Informatik gesehen wird. Man kann das englische „artificial“ auch mit „kunstfertig“ und „Intelligence“ schlicht mit „Datenverarbeitung“ übersetzen.

Wir bedienen uns bestimmten Algorithmen, die manchmal ganz banale Dinge machen. Ich erinnere mich an einen Algorithmus, den wir mal vor knapp zwei Jahren publiziert haben. Der macht nichts anderes, als den Untergrund aus einem Spektrum herauszufiltern. Es bieten sich aber auch andere Einsatzmöglichkeiten für Algorithmen an, z.B. einen Phasenbereich, in dem eine bestimmte Kristallstruktur als Funktion der Zusammensetzung auftritt. Hier könnte Automatisierung sehr hilfreich sein.

Kurzgesagt: Wir bedienen uns aus dem Werkzeugkasten der Künstlichen Intelligenz. Wir greifen verschiedene Tools heraus. Aber wir sind sehr weit davon entfernt, dass ich das eine wirkliche „Künstliche Intelligenz“ nennen würde.

Können Sie uns noch einmal ein bisschen genauer erläutern, was die KI jetzt konkret in Ihrem Fall kann – und was sie nicht kann?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Unsere KI assistiert uns dabei, dass wir bestimmte allgemeine Muster erkennen. Zum Beispiel können wir sehr viele Röntgen-Muster unserer Proben aufnehmen.

Ferner bin ich ein großer Fan von hybrider Arbeitsteilung. Ich lasse den Computer das machen, was richtig viele Daten benötigt oder produziert. Der Computer soll mir das Ergebnis in einer Art kondensierten Form präsentieren. So ähnlich wie beim Autonomen Fahren. Man muss ab und zu eingreifen. Aber das Ziel ist die Arbeitsteilung und Beschleunigung.

Haben Sie da einen gewissen Zeitplan? Bis so eine gewisse Autonomie erreicht ist, dass Sie im Prinzip zufrieden sind?
TT.-Prof. Dr. Helge Stein: Wir können mithilfe der KI und mithilfe der Automatisierung die Materialwissenschaften deutlich beschleunigen und zwar um einen Faktor von 10 bis 100.

Da haben wir das Ziel, die Art und Weise, wie wir forschen, zu revolutionieren. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten wir in einem größeren EU-Projekt (BIG-MAP) eng mit internationalen Partnern zusammen. Wir können die einfachen oder auch arbeitsintensiven Schritte durchaus automatisieren und durch Künstliche Intelligenz beschleunigen. Die KI soll über neue Mechanismen herausfinden, wie wir Batterien in der Zukunft bauen können. Hier spielen vor allem Prozess- und Material-Optimierung eine Rolle.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stein.

 

Über „Geladen – der Batteriepodcast“
Patrick Rosen und Daniel Messling sprechen mit Batterieforscher*innen über Elektromobilität und Energiewende. Der Podcast wird produziert vom Helmholtz-Institut Ulm (HIU), dem Exzellenzcluster POLiS, CELEST und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

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